25 Jahre-Jubiläum der «Bilateralen»

Heute vor 25 Jahren legte die Schweiz den Grundstein zu den bilateralen Verträgen mit der Europäischen Union. Seither hat sie das Stimmvolk elf Mal an der Urne bestätigt. Auch wenn es immer mal wieder negiert wird: Die Schweiz liegt mitten in Europa und ist wirtschaftlich und kulturell eng mit der EU verflochen. An der 25-Jahre-Jubiläumsfeier im Haus der Kantone betonte der neue Staatssekretär des EDA, Alexandre Fasel, man solle im Europadossier nicht primär die einzelnen Bäume beurteilen, sondern den Wald als Ganzes.

Die Bewegung Courage Civil ist Teil der Plattform «stark + vernetzt» und engagiert sich für eine offene Schweiz. Mehr in unserem Dossier «Bilaterale».

30 Jahre nach dem Nein zum EWR – ein Blick zurück

Der 6. Dezember 1992 ist eine markante Landmarke. Heute vor 30 Jahren entschied das Schweizer Volk nach einer langen und emotionsgeladenen Debatte über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Die Stimmbeteiligung betrug nicht weniger als 79 Prozent, mit 50,3 Prozent Nein ging die Abstimmung äusserst knapp aus. Die politische Schweiz war daraufhin während mehrerer Jahre paralysiert, viele Leute sagen, dass sie das EWR-Nein politisiert habe.

Die Schweiz und Europa – das ist ein Chnorz. Laut einer aktuellen Umfrage werden stabile Beziehungen zur EU als gleich wichtig bezeichnet wie eine möglichst neutrale und eigenständige Schweiz – also ein Patt. Die Grünliberalen reichen in dieser Woche einen Vorstoss ein, der den Bundesrat zu EWR-Beitrittsverhandlungen zwingen soll. Mehrere Organisationen haben eine Europa-Initiative erarbeitet und suchen derzeit Geld und weitere Verbündete. Seitdem der Bundesrat die Verhandlungen für ein Rahmenabkommen im Mai 2021 einseitig abbrach, reiste Staatssekretärin Livia Leu inzwischen sechsmal nach Brüssel, um Sondierungsgespräche zu führen. Heute lancieren 196 Prominente ihren «Aufruf zum Handeln» (PDF).

Das ist, kräftig eingedampft, der aktuelle Stand der Dinge.

Und jetzt ein Blick zurück auf die EWR-Abstimmung vor 30 Jahren, was die Basis legt für den Blick in die Zukunft. Wir führen hier ein kleines Dossier mit Medienberichten, Interviews und zwei Buchtipps. Es wird in den nächsten Tagen ergänzt.

Zum Einsteigen:
Über die verklärte Souveränität der Schweiz (PDF)
Ein ergiebiges Interview mit dem Historiker André Hollenstein und dem Juristen Thomas Cottier (NZZ)

6. Dezember 1992 (PDF)
Die Kolumne von Philipp Loser («Das Magazin»)

Warum die EWR-Abstimmung bis heute vieles in der Schweiz erklärt
Das Interview mit dem Politologen Claude Longchamp (swissinfo)

Für die Ohren:
Als die Nostalgie siegte
Ein Podcast mit Fabian Renz (Tamedia; Dauer: 22 Minuten)

«Blocher hatte die bessere Einschätzung»
Ein Interview mit dem Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (SRF)

 

Schliesslich zwei Buchtipps:

Die Souveränität der Schweiz in Europa (2021)
André Hollenstein und Thomas Cottier (siehe Interview am Anfang dieser Liste)
Stämpfli Verlag

Schweiz und Europa – eine politische Analyse (2022)
Nicola Forster (Co-Gründer Think Tank foraus) & Andreas Schwab (Abgeordneter deutscher Bundestag)
Verlag Herder

Vier Debatten für mehr Mut in der Europapolitik

Die Bewegung Courage Civil setzt sich seit ihrer Gründung für eine offene Schweiz ein und pflegt als Mitglied der Allianz «stark + vernetzt» den Austausch mit Gleichgesinnten. Die Allianz besteht aus rund 80 Organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik und Zivilgesellschaft.

«stark + vernetzt» will den europapolitischen Stillstand nicht länger akzeptieren und veranstaltet deshalb bis Anfang Dezember vier Europa-Debatten, an denen nach Lösungsansätzen gesucht wird. Die Events unter dem Motto «Helfen wir Helvetia wieder auf die Beine» finden in Basel, Luzern, Zürich und Lausanne statt. Die Namen der Referentinnen und Podiumsteilnehmer sind vielversprechend. Die Events werden abgerundet mit kurzen künstlerischen Einlagen und zum Schluss mit einem Apéro.

Die Daten:
– Mittwoch, 26. Oktober, Zürich
– Montag, 31. Oktober, Luzern
– Donnerstag, 17. November, Basel
– Donnerstag, 1. Dezember, Lausanne

Weitere Informationen zu allen vier Events und Anmeldung: https://www.europapolitik.ch/events-helvetia

Wie lange kann sich die Schweiz den Poker mit der EU noch leisten?

Vor einem Jahr hat der Bundesrat die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen abgebrochen. Seither hat die EU ihre Position weiter verschärft. Und auch der Bundesrat kann ohne Gesichtsverlust kaum mehr zurück. Wer gibt zuerst nach? Wir übernehmen hier den Kommentar von Stefan Schmid, Chefredaktor des des «St. Galler Tagblatt». 

Man ist freundlich zueinander. Und die Schweizer klammern sich an jeden Strohhalm. Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck hat am WEF in Davos zwei Bundesräten auf die Schultern geklopft und versprochen, er wolle sich in Brüssel für eine Einigung mit der Schweiz einsetzen. Wunderbar. Dasselbe hat man jahrelang von Österreichs Alt-Kanzler Sebastian Kurz gehört. Genützt haben derlei Gefälligkeitsgesten in aller Regel nichts.

Die EU hat ihre Position im Kern gegenüber Bern seit Jahren nicht mehr verändert. Über den bilateralen Verträgen braucht es ein institutionelles Dach, das die wichtigsten Fragen regelt. Streitbeilegung, Übernahme von EU-Recht, fairer Wettbewerb. Der Bundesrat hat die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen vor einem Jahr einseitig abgebrochen. Seither weiss in der strategisch orientierungslosen Regierung niemand mehr so recht, wie es weitergehen soll.
Die bilateralen Verträge sind zwar alle in Kraft, doch sie werden nicht mehr aufdatiert. Wie ein Handy, das kein Update des Betriebssystems mehr erhält. Sie verlieren sukzessive an Bedeutung. Die Schweiz droht vom Zugang zum EU-Binnenmarkt schrittweise abgeschnitten zu werden – und damit Wohlstand einzubüssen.

Die Sackgasse ist perfekt, denn nicht nur die EU weigert sich, Konzessionen zu machen. Auch die Schweizer Regierung kann ohne Gesichtsverlust nicht mehr zurück. 

Warum sollte sie ein Jahr nach dem Verhandlungsabbruch plötzlich denselben, teils noch weitergehenden Forderungen Brüssels zustimmen, die sie vor einem Jahr noch verworfen hat?

Auch ausserhalb des Bundesrats gibt es keine Allianz, welche das bilaterale Schiff wieder in Bewegung setzen könnte. Mitte-Chef Gerhard Pfister ist ein Gegner einer institutionellen Anbindung. Er fantasiert stattdessen von einem föderalen Europa, in Anlehnung an eine kürzlich ventilierte Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Und übersieht dabei geflissentlich, dass Frankreich mit dieser Initiative Länder wie Nordmazedonien oder die Ukraine geopolitisch an Europa binden möchte – und sicher nicht den wirtschaftlich integrierten und reichen Schweizern einen billigen Ausweg aus der selbst gewählten Krise bieten will.

FDP-Präsident Thierry Burkart wiederum hat seine jüngsten Karriereschritte ganz seinem gut inszenierten und kategorischen Nein zum Rahmenabkommen zu verdanken. Auch er kann ohne Gesichtsverlust den EU-Forderungen nicht zustimmen. Von ihm sind daher kaum ernsthafte Impulse zu einer Wiederannäherung zu erwarten.

Ebenso wenig vom SP-Führungsduo Cédric Wermuth und Mattea Meyer, das vom EU-Beitritt schwadroniert, um davon abzulenken, dass sich die einst europafreundlichen Sozialdemokraten in Geiselhaft der protektionistischen Gewerkschaften befinden. Die SVP derweil kann mit dem Status quo bestens leben, in ihrem Weltbild braucht es die EU ohnehin nicht.

Wie weiter? Guter Rat ist teuer. Die Prognose sei dennoch gewagt: Es bewegt sich noch eine schöne Weile rein gar nichts. Die Positionen sind zu weit auseinander. Die EU hat keinen Anlass, dem kleinen Nachbarn den Schmus zu bringen. Sie ist nicht wirklich auf die Schweiz angewiesen und steht auch nicht unter Zeitdruck.

Umgekehrt sind die Abhängigkeitsverhältnisse eindeutiger. Bloss: Dem Schweizer Wohlstand hat das Nein zu einem Rahmenabkommen bisher nicht geschadet. Und der Wohlstand, das ist die einzige innenpolitische Währung, die zählt. Solange jene 50 Prozent der Stimmbürger, die sich am politischen Prozess in der Schweiz beteiligen, nach wie vor das Gefühl haben, es läuft doch auch ohne Rahmenvertrag mit der EU wie geschmiert, wird es nie genügend Druck für ein politisches Entgegenkommen geben.

Klar, der Frosch hockt in der Pfanne und merkt meist zu spät, wenn das Wasser wärmer wird. Die Schweiz aber ist kein Frosch. Ihre Wirtschaft ist dynamisch, anpassungsfähig, oder wie es Staatssekretärin Livia Leu sagt: resilient. Vielleicht, ja vielleicht schafft es das Land wider sämtlicher Prognosen, den Wohlstand auch ohne Update der bilateralen Verträge aufrechtzuerhalten. Es wäre ein Wunder.

Realistischer ist freilich, dass es bald zu einem Schock kommt – etwa im Energiebereich, sollte die Schweiz vom europäischen Markt zunehmend abgeschnitten werden. Spätestens dann wird sich die Einsicht durchsetzen, dass wir wohl gescheiter früher Hand zu einer Lösung geboten hätten, ehe wir als Bittsteller in Brüssel aufkreuzen müssen.

«St. Galler Tagblatt», 25. Mai 2022

 

Das Ja zu Frontex ist ein Ja für konstruktive Europapolitik

Das Verdikt des Schweizer Volks ist klar: 71.5 Prozent der Stimmberechtigten sagen Ja zum Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex. Der Vorstand der Bewegung Courage Civil ist erleichtert, dass die Zustimmung zu dieser Vorlage so deutlich ausgefallen. Die Arbeitsweise der Frontex-Angestellten wurde in den letzten Monaten breit diskutiert, in einzelnen Fällen ist die Kritik berechtigt, Pushbacks sind widerrechtlich. Im Kern ging es bei dieser Abstimmung allerdings um das Schengen-Abkommen, das seinen 27 Mitgliedstaaten bei der gemeinsamen Bekämpfung von Kriminalität mehr Sicherheit bringt.

Courage Civil gehört mit 80 andereren Organisationen zur «Europa-Allianz» von stark+vernetzt, und diese engagierte sich für ein Ja.

Das Abstimmungsresultat ist angesichts der Blockade in der Schweizer Europapolitik von Bedeutung. Die Schweizer Stimmbevölkerung hat damit bereits zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren ein deutliches Bekenntnis für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Europa abgegeben (2018 Nein zur «Selbstbestimmungsinitiative», 2019 Ja zum angepassten Waffenrecht bzw. Schengen, 2020 Nein zur Begrenzungsinitiative, 2022 Frontex-Ausbau).

Zur Vertiefung der Artikel von SRF:
EU-Aussengrenzen – Über 70 Prozent stimmen der Frontex-Finanzierung zu (15. Mai)

Reden wir über Europa – ohne Schlagworte!

Im Mai letzten Jahres hat der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU einseitig abgebrochen. Damit ist das Rahmenabkommen vom Tisch. Viele Leute reagierten mit Erleichterung, andere mit Verärgerung. Tatsache ist, dass der Dialog seither blockiert und die Atmosphäre unterkühlt ist. Lösungsansätze werden zaghaft diskutiert.

Als Teil einer grossen Allianz hält es die Bewegung Courage Civil für wichtig, dass wir in unserem Land endlich über Europa reden. Lange, zu lange hat man das Terrain dem nationalkonservativen Lager überlassen. Es braucht eine Diskussion ohne Schlagworte und Lärm, ganz pragmatisch. Wir wirken mit bei der Kampagne «Über Europa reden», mit Persönlichkeiten, die aus Ihrer Erfahrung heraus einen Grund nennen.

Mehr zum Thema gibt es hier bei unserem Allianzpartner von «stark + vernetzt».

Die Grenzen sind wieder offen!

Seit heute sind die Grenzen wieder offen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter geht im Tagesgespräch von Radio SRF auf diese Veränderung zur Normalität ein. Sie findet es wichtig, dass die Personenfreizügigkeit wieder hergestellt ist – auch weil sie selbst aus einer Grenzregion kommt. Tatsache ist, dass sich die Menschen längst daran gewöhnt haben, ohne Grenzkontrollen reisen zu können.

Ein hörenswertes Gespräch von 30 Minuten – Sie finden es samt Zusammenfassung hier.