Am 18. Juni 2023 kann das Schweizer Volk über das Klimaschutzgesetz abstimmen. Führt ein Ja zu Verboten und höheren Stromkosten? Was bedeutet «netto null»? Nachfolgend werden die wichtigsten Fragen und Antworten behandelt. Die Bewegung Courage Civil hat an ihrer MV vom 5. November 2022 entschieden, für ein Ja einzustehen. Sie nennt es Gletschergesetz, in Anlehnung an die Gletscherinitiative, die am Anfang dieser Forderung stand.
Was ist das Ziel des Klimaschutzgesetzes?
Die Schweiz soll bis 2050 klimaneutral werden. Bis dahin soll sie das sogenannte Netto-null-Ziel erreichen. Das Klimaschutzgesetz sieht ausserdem Zwischenziele vor. So sollen die Treibhausgasemissionen bis 2040 um mindestens 75 Prozent gegenüber 1990 sinken. Bis 2021 sind sie um 18 Prozent gesunken. Zwischenziele sind auch für die einzelnen Sektoren Verkehr, Industrie und Gebäude vorgesehen. Die Reduktionsziele müssen dabei «wirtschaftlich tragbar» sein.
Was bedeutet «netto null» genau?
«Netto null» bedeutet nicht, dass gar keine Treibhausgase mehr ausgestossen werden. Ein Land hat das Netto-null-Ziel dann erreicht, wenn es nicht mehr Treibhausgase ausstösst, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Natürliche Speicher sind Wälder oder Böden, mit technischen Speichern werden zum Beispiel der Atmosphäre Treibhausgase entzogen und im Untergrund gespeichert. Die Reduktion der Treibhausgase soll laut Gesetz «soweit möglich» in der Schweiz erfolgen. Dass ein Teil über die Finanzierung von Reduktionsmassnahmen im Ausland erfolgt, ist also nicht ausgeschlossen.
Wie kam es zu diesem Ziel?
Der Bundesrat hat das Netto-null-Ziel für die Schweiz im Sommer 2019 beschlossen. Er begründete das mit dem international vereinbarten Ziel, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, wobei ein maximaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius angestrebt wird. Ein Bericht des UNO-Klimarats IPCC hatte aufgezeigt, dass bereits ab einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad mit gravierenden Auswirkungen zu rechnen sei. Ebenfalls 2019 reichten Klimaschützer die Gletscherinitiative ein, die dasselbe Ziel, aber andere Massnahmen fordert.
Warum wird nicht über die Gletscherinitiative abgestimmt?
Die Gletscherinitiative fordert, dass fossile Brenn- und Treibstoffe – also Heizöl, Benzin, Diesel, Erdgas und Kohle – ab 2050 verboten werden. Das ging dem Bundesrat und dem Parlament zu weit. Das Parlament hat jedoch einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet: das Klimaschutzgesetz. Die Urheber der Gletscherinitiative zogen ihr Begehren daraufhin bedingt zurück. Das bedeutet, dass darüber nur abgestimmt wird, wenn das Klimaschutzgesetz nicht in Kraft tritt.
Welche Massnahmen sieht das Klimaschutzgesetz vor?
Das Gesetz setzt nicht auf Verbote, sondern auf Anreize: Wer seine fossile Heizung oder seine Elektroheizung ersetzt oder die Isolation seines Hauses verbessert, kann von finanzieller Unterstützung profitieren. Dafür sind während zehn Jahren 200 Millionen Franken pro Jahr vorgesehen, insgesamt also zwei Milliarden Franken. Die Gelder kommen zum bereits bestehenden Gebäudeprogramm hinzu. 2021 wurden dafür 361 Millionen Franken ausbezahlt, für 2022 liegen noch keine Zahlen vor. 2020 waren schätzungsweise noch 900’000 fossil betriebene Heizungen im Einsatz. Dazu kommen mehr als 100’000 Elektroheizungen. Heute werden pro Jahr etwa 20’000 Heizungssysteme durch erneuerbare Alternativen ersetzt. Der Bund schätzt, dass dank den zusätzlichen Fördermitteln der Verkauf von erneuerbaren Heizsystemen steigen wird, mittelfristig um 10’000 Stück pro Jahr, langfristig um 17’000. Diese Zunahme sei notwendig, um das Ziel zu erreichen.
Was bedeutet das Gesetz für Unternehmen?
Auch die Unternehmen müssen das Klimaziel 2050 erreichen. Sie sollen dabei ebenfalls finanziell unterstützt werden. Dafür sind über sechs Jahre verteilt 1,2 Milliarden Franken vorgesehen, also 200 Millionen pro Jahr. Geld geben soll es für die Förderung neuartiger Technologien, aber auch für die Risikoabsicherung für Infrastrukturen, etwa für den Aufbau einer Infrastruktur für den Transport von CO₂.
Dabei geht es vor allem darum, bereits bestehende Technologien zur Marktreife zu bringen, etwa die Abscheidung von CO₂ aus den Abgasen von Kehrichtverbrennungsanlagen. Noch nicht klar ist, ob der Bund künftig gewisse Bereiche präventiv von der Förderung ausschliessen wird, etwa Versuche, neue Typen von Kernkraftwerk-Reaktoren markttauglich zu machen. Diese Fragen will der Bundesrat in einer Verordnung regeln. Die Arbeiten dazu laufen.
Wie werden diese Massnahmen finanziert?
Die Massnahmen werden aus den allgemeinen Bundesmitteln finanziert.
Sind weitere Massnahmen geplant?
Bund und Kantone werden mit dem Klimaschutzgesetz verpflichtet, Massnahmen zum Schutz von Mensch und Natur gegen die Folgen der Erderwärmung zu ergreifen. Diese müssen in Verordnungen und kantonalen Gesetzen konkretisiert werden. Der Bund muss zudem dafür sorgen, dass der Schweizer Finanzplatz einen «effektiven Beitrag» zu einer «emissionsarmen» Entwicklung leistet. Er kann mit den Finanzbranchen Vereinbarungen zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse abschliessen. Massnahmen sind überdies in anderen Gesetzen vorgesehen, vor allem im neuen CO₂-Gesetz, das noch in der parlamentarischen Beratung ist.
Was bedeutet das Gesetz für Bund und Kantone?
Bund und Kantone sollen eine Vorbildfunktion übernehmen. Die zentrale Bundesverwaltung muss bis zum Jahr 2040 ihre Emissionen auf netto null senken, nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten, also alle Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette. Die Verwaltungen der Kantone sowie die bundesnahen Betriebe streben das Netto-null-Ziel 2040 an.
Wer ist dagegen, und warum?
Die SVP bekämpft das Gesetz. Die Delegierten haben einstimmig beschlossen, das Referendum zu ergreifen. Deshalb wird am 18. Juni über das Klimaschutzgesetz abgestimmt. Die SVP bezeichnet es als «Stromfressergesetz». Autofahren und Heizen werde nur noch mit Strom möglich sein, was die Nachfrage stark erhöhen werde, argumentiert sie. Das werde zu Strommangel und hohen Kosten für die Haushalte führen. Faktisch führe das Gesetz ausserdem zu Verboten.
Droht tatsächlich Strommangel?
Die Schweiz hat letztes Jahr rund 57 Terawattstunden Strom verbraucht. Wenn fossile Heizungen durch die Wärmepumpen und Verbrenner-Autos durch Elektrowagen ersetzt werden, braucht es in der Tat mehr Strom. Der Verbrauch wird trotz Fortschritten bei der Effizienz in Zukunft steigen – auf etwa 80 Terawattstunden pro Jahr, wie Experten schätzen. Hinzu kommt, dass die Schweiz wegen des 2017 beschlossenen Atomausstiegs mittelfristig jenen Strom ersetzen muss, den heute die vier Kernkraftwerke liefern, also gut 20 Terawattstunden.
Insgesamt muss die Schweiz also circa 40 bis 45 Terawattstunden Strom neu produzieren. Das Parlament will deshalb die neuen erneuerbaren Energien stark ausbauen: Bis 2035 sollen Wind, Biomasse und vor allem die Sonne 35 Terawattstunden pro Jahr liefern, das ist sechs- bis siebenmal mehr als heute. Bis 2050 sollen es 45 Terawattstunden sein. Insbesondere will das Parlament den Ausbau in den kritischen Wintermonaten stärken, etwa mit grossen Fotovoltaik-Anlagen in den Alpen sowie einem Ausbau der Wasserkraft. Ob die Rechnung am Ende aufgehen wird, ist umstritten.
Wie stellt sich SVP-Umweltminister Albert Rösti zum Klimaschutzgesetz?
Als Bundesrat muss Rösti sich für das Klimaschutzgesetz einsetzen. Vor den SVP-Delegierten betonte er, es sehe weder Verbote noch neue Steuern und Abgaben vor. Einig ist Rösti mit seiner Partei, dass die Dekarbonisierung den Stromverbrauch erhöhen wird. Er zieht aber andere Schlüsse daraus: Umso wichtiger sei es, neue Anlagen zur Stromerzeugung zu bauen, sagt Rösti. Klimapolitik beginne mit Energiepolitik.
Wie argumentieren die Befürworter?
Die Befürworter – alle Parteien ausser die SVP – argumentieren mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz und den Folgen des Klimawandels. Die Schweiz müsse ihren Beitrag leisten, sagen sie – auch deshalb, weil sie als Alpenland besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sei. Die Gefahr von Murgängen, Hochwasser und Steinschlägen nehme zu, heftige Unwetter und Hitzewellen mehrten sich schon heute, und die Landwirtschaft sei mit Trockenheit konfrontiert. Weiter machen die Befürworter geltend, mit fossilen Energieträgern sei die Schweiz zu stark vom Ausland abhängig.
Was geschieht bei einem Nein?
Lehnt das Stimmvolk das Klimaschutzgesetz ab, kommt die Gletscherinitiative zur Abstimmung, sofern die Initianten daran festhalten. Da in Wahljahren im zweiten Halbjahr in der Regel keine eidgenössischen Volksabstimmungen stattfinden, würde der Urnengang wohl 2024 stattfinden.
Quelle: Tamedia/19. April 2023
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Gletschergesetz zum Herunterladen:
Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz (PDF, 8 Seiten)
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