Einordnung und Kulturberichterstattung sind am meisten gewünscht

Auf dem Medienplatz Bern kommt es zu gravierenden Veränderungen: «Der Bund» und «Berner Zeitung» werden komplett fusioniert. Ab Oktober 2021 wird eine Einheitsredaktion die Artikel für beide Titel liefern (gedruckt und digital). Damit entsteht ein Monopol, der publizistische Wettbewerb im Grossraum Bern ist zu Ende. Das führt zu einem Einheitsbrei und ist demokratiepolitisch nicht haltbar.
Die Bewegung Courage Civil hatte im Februar eine Umfrage lanciert, um herauszufinden, was die Medienkonsumentinnen und -konsumenten im Kanton Bern sich wünschen. 2935 Personen machten mit – ein hoher Wert. In Dokument, das am Ende dieses Postings zu finden ist, präsentieren wir die Resultate.

Auf einen Blick: Zentrale und überraschende Erkenntnisse:

– Das Interesse an nationalen und internationalen Themen ist leicht höher als an Themen aus Stadt und Region Bern.

– Die Bereitschaft, für überzeugenden Online-Journalismus zu bezahlen, ist hoch. Die Werte: 83% generell, 65% spezifisch für den Grossraum Bern. Zum Vergleich: Gemäss dem «Jahrbuch Qualität der Medien» des fög (Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich) betrug im Jahr 2020 die Zahlungsbereitschaft in der Schweiz 13 Prozent (2016: 10 Prozent).

– Zwei Drittel der Befragten würden zwischen 40 und 100 Franken pro Jahr für ein Abo bezahlen, ein Fünftel sogar mehr als 100 Franken.

– Knapp ein Viertel der Befragten möchte ein werbefreies Medium. Die Akzeptanz von klar deklarierter Werbung («Bezahlt von»), also Publireportagen, Native Advertising usw., ist mit 69 Prozent hoch.

– Die regelmässige Einordnung von politischen und gesellschaftlichen Themen ist den Teilnehmenden in diesem Sample am wichtigsten (Wert von 8.28). Die Kulturberichterstattung folgt auf Platz 2 (7.29). Ein täglicher Newsletter erhält hingegen mit 5.39 nur einen durchschnittlichen Wert.

– 86 Prozent aller Befragten wollen, dass das Online-Magazin zu allen parteipolitischen Akteuren dieselbe kritische Distanz wahrt. 12 Prozent möchten, dass das Geschehen aus einer linken Perspektive beobachtet und kommentiert wird, 2 Prozent aus einer bürgerlichen Perspektive.

Resultate der Umfrage zum Medienplatz Bern (PDF)

Auf dem Medienplatz Bern muss etwas Neues wachsen

Seit Tamedia angekündigt hat, bei «Berner Zeitung» und «Bund» auch noch die Lokalredaktionen zu fusionieren, gärt es auf dem Medienplatz Bern. Die Bewegung Courage Civil, die sich während des Kampfs gegen die No-Billag-Initiative formiert hatte, befürchtet einen Einheitsbrei. Jetzt lotet sie das Bedürfnis nach einem neuen Online-Magazin aus. Einen Zusammenhang mit dem Projekt «Neue Berner Zeitung» des Kleinverlegers Norbert Bernhard gibt es nicht.

Seit rund drei Jahren verbreiten «Berner Zeitung» und «Bund» weitgehend identische Inhalte. Beide Tageszeitungen beziehen ihre Artikel aus demselben Pool, einzig in der lokalen und regionalen Berichterstattung liefern sie sich einen publizistischen Wettbewerb. Doch damit ist bald Schluss: Tamedia hat entschieden, eine Einheitsredaktion zu installieren. Damit ist das «Berner Modell», das der legendäre Verleger Charles von Graffenried 2003 lanciert hatte, tot. Es entsteht ein Monopol und der Medienkonzern kann in Bern nochmals Stellen abbauen. (Die «Medienwoche» fasst hier präzis zusammen, was Sache ist.)

Die Bewegung Courage Civil will keinen publizistischen Einheitsbrei im Grossraum Bern. Seit November letzten Jahres sondiert sie, welche Alternativen es gibt. Aus ihrer Sicht ist die Zeit reif, dass auf dem Medienplatz Bern etwas Neues wächst. Deshalb lanciert sie jetzt eine Umfrage, um das Bedürfnis der Bernerinnen und Berner nach einem neuen Online-Magazin zu eruieren.

Bei den Medienkonzernen lautet die grosse Frage seit Jahren: «Wie bringen wir die Leute möglichst lange auf unsere Online-Portale und dort zum Bezahlen?» Courage Civil hat gemäss Geschäftsführer Mark Balsiger einen anderen Ansatz: «Im Zentrum stehen nicht Klicks und hohe Renditen, sondern Journalismus. Wir fragen, was ein Online-Magazin bieten muss, damit die Menschen es wertschätzen und Member werden.»

Courage Civil, 2018 aus der Abstimmungs-Allianz gegen die No-Billag-Initiative herausgewachsen, geht laut Vorstandsmitglied Anaël Jambers pragmatisch vor. Wenn die Umfrage eindeutige Resultate liefere und parallel dazu die Interessen gebündelt werden, sollen weitere Schritte folgen. Unabhängiger Journalismus auf lokaler Ebene sei für das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben sehr wichtig, betont Jambers: «Lokale Medien schaffen Identität.» Sie verweist auf neue Online-Medien, die in anderen Ballungsräumen entstanden sind: «bajour» (Basel), «tsüri» (Zürich), «Kolt» (Olten), «Zentralplus» (Zentralschweiz) und «heidi.news» (Romandie). Ohne geografische Einschränkungen kämen die «Republik» und das Wissenschaftsmagazin «Higgs» hinzu.

«Das Bedürfnis nach unabhängigem Journalismus wächst auch im Lokalen», ist Balsiger überzeugt. Daran knüpfe man an, bleibe aber realistisch. Als gesichert gilt, dass es im Grossraum Bern Platz für nur ein neues Medienprojekt hat, sonst bleibt der Platzhirsch, also Tamedia, alleine. Die Bewegung Courage Civil versteht ihr Engagement nicht als Kritik an den Angestellten beider Zeitungen, die vor einer ungewissen Zukunft stehen.

Ende Januar kündigte der Schaffhauser Verleger und Heimweh-Berner Norbert Bernhard in der «Handelszeitung» an, an einem Projekt namens «Neue Berner Zeitung» zu arbeiten. Er will täglich eine Gratiszeitung mit der Auflage von 70’000 Exemplaren produzieren, wie er im «Klein Report» ausführte. Die Bewegung Courage Civil hält fest, dass es zwischen ihrer Umfrage und Bernhards Projekt keinen Zusammenhang gibt.

Die Umfrage für das neue Online-Magazin im Grossraum Bern ist hier verlinkt.