Was ist uns Journalismus wert?

Ende Sommer wurde der grösste Stellenabbau in der Schweizer Mediengeschichte publik. Seit eineinhalb Jahren läuft die Diskussion, ob die Serafe-Gebühren 335 Franken, 300 Franken oder 200 Franken betragen soll. Sie dreht sich fast ausschliesslich um Preisschilder, die Halbierungsinitiative wirft einen dunklen Schatten voraus. Dabei bräuchte es endlich eine Debatte über den medialen Service public und die Finanzierung der Medien. Eine der zentralen Fragen lautet: Was ist uns Journalismus in der viersprachigen Schweiz wert?

Für eine echte Debatte braucht es eine Basis. Zehn Fakten:

1.  Die privaten Medien in der Schweiz haben ein massives Finanzierungsproblem. Inzwischen fliessen jedes Jahr 2 Milliarden Franken an Werbegeldern zu Tech-Plattformen wie Google, Facebook und Instagram. Diese 2 Milliarden fehlen den Medien, mit teureren Abos sind sie nicht annährend zu kompensieren. Die Konsequenzen: Stellenabbau, Ausdünnung des Angebots, Verflachung, Kannibalisierung.

2.  In den letzten 20 Jahren sind in der Schweiz rund 70 Medientitel verschwunden. Das führte zu einer Verarmung, unterschiedliche Gesichtspunkte fehlen. Natürlich gab es in derselben Zeitspanne auch Neugründungen, doch von ihnen schafften bislang kein halbes Dutzend den «Break Even», also eine ausgeglichene Rechnung. Die Erkenntnis: Journalismus ist kein Geschäftsmodell mehr. Keine Unternehmerin, die bei Trost ist, reitet ein totes Pferd.

3.  Ein Privathaushalt gibt laut Bundesamt für Statistik im Durchschnitt jährlich 3168 Franken aus für den Medienkonsum. Darunter fallen Zeitungen, Bücher und Streaming-Dienste wie Spotify, usw. Die Medienabgabe beträgt zurzeit 335 Franken. Mit anderen Worten: Die Serafe-Gebühren machen nicht einmal 10 Prozent der Gesamtausgaben für Medien aus.

4.  Seit nunmehr 20 Jahren wächst das Online-Angebot stetig. Es wächst, weil die Leute immer mehr und länger im Netz unterwegs sind. Die klassischen Medienvektoren Print, Radio und lineares Fernsehen verlieren stetig an Reichweite. Die Transformation ist in vollem Gang. So muss man die Hintergrundsendung «Echo der Zeit» von Radio SRF heute nicht mehr um 18 Uhr einschalten. Wir können sie zu einem beliebigen Zeitpunkt oder via Podcast hören. Die BBC, die von Grossbritannien aus weltweit Standards setzt, baut sich so um, dass ab 2030 die allermeisten Angebote nicht mehr linear, sondern nur noch auf Abruf (on demand) ausgespielt werden.

5.  Seit Jahren behaupten Nationalräte wie Gregor Rutz, die SRG lasse den privaten Medien online zu wenig Raum, um sich zu entfalten. Eine Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich hat diese Hypothese nun empirisch geprüft. Die Befragung von 2000 Personen in der deutschen und französischsprachigen Schweiz kommt zum Schluss, dass nur gerade 4 Prozent sich ausschliesslich über SRG-Plattformen informieren. Die Verdrängungsthese ist also widerlegt.

6.  In der Schweiz sind 17 Prozent der Bevölkerung bereit, für Online-Angebote zu bezahlen. Dieser Wert lag früher tiefer, stagniert aber seit ein paar Jahren. Ein zweiter Befund der fög-Studie: Die Nutzung von SRG-Plattformen beeinflusst die Zahlungsbereitschaft für private Online-Angebote nicht und sie führt nicht zu einer geringeren Beachtung von Abonnement-, Pendler- und Boulevardmedien.

7.  Der SRG sind Grenzen gesetzt: Im Netz dürfen Beiträge ohne Bezug zu Radio- oder Fernsehsendungen nicht länger als 1000 Zeichen sein. Das entspricht zwei kurzen Textabschnitten. Finanziell existiert seit der Ära von Medienministerin Doris Leuthard ein Gebührendeckel. Die Mehreinnahmen, die es dank dem steten Wachstum von Privathaushaltungen gibt, fliessen nicht zur SRG. (Die Medienabgabe betrug übrigens 2017 noch 450 Franken pro Jahr. Seither ist sie um 25 Prozent gesunken.)

8.  In der kleinräumigen Schweiz rechnen sich von wenigen Ausnahmen abgesehen Kultur- und Unterhaltungssendungen sowie Live-Sport nicht. Private Medien produzieren, was sich rechnet, sonst könnten sie nicht bestehen. (Die grosse Ausnahme ist die Eishockey-Meisterschaft. Sie wird vom Pay-TV-Sender MySports, der Sunrise gehört, abgedeckt. Die Kosten für die Übertragungsrechte kann er allerdings bei Weitem nicht wieder einspielen.) Serien wie «Der Bachelor», «Die Bachelorette» und «Bauer ledig sucht», die vom Privatsender 3 Plus produziert werden, lassen sich am Markt finanzieren.

9.  Die Medienkrise zeigt sich ausgeprägt im Lokalen. Wieso? In den Bereichen Ausland, Inland, Wirtschaft und Sport konnten Redaktionen zusammengelegt und so Kosten gespart werden. Lokaljournalismus lässt sich nicht zusammenlegen. Je weniger über Lokales berichtet wird, desto mehr schwindet die Verwurzelung der Menschen mit ihrer Region.

10.  Auch in der Schweiz hat der Clickbait-Journalismus Einzug gehalten (to bait = ködern). Oberstes Ziel ist es, die Leute möglichst lange mit knalligen Storys auf einem eigenen Online-Portal zu halten. Es geht um Klicks, Reichweite, Werbung und Angebote hinter der Bezahlschranke.

Danke fürs Teilen. Danach kann die Debatte beginnen – Fakten statt Lärm. Dieser Beitrag ist auch auf der Website der Allianz Pro Medienvielfalt verfügbar.

TX Group: Weniger Journalismus, noch mehr Gewinn

Die TX Group ist das grösste private Medienunternehmen in der Schweiz. Sie verantwortet (mit Tamedia) u.a. Zeitungen und Online-Portale wie den «Tages-Anzeiger», den «Bund» oder die «Zürichsee-Zeitung». Ihr Management fackelt nicht lange, wie wir heute einmal mehr feststellen konnten. Es baut den Konzern radikal um und es baut zum x-ten Mal ab. Insgesamt werden 290 Stellen gestrichen, 90 davon auf den Redaktionen.

Tatsache ist: Die TX Group ist finanziell kerngesund, die Gewinnmarge liegt aktuell bei 12 Prozent. In vielen anderen Branchen würde man sich nicht einmal getrauen, von solchen Margen zu träumen. Damit nicht genug: Seit dem Börsengang im Jahr 2000 hat der Zürcher Medienkonzern insgesamt mehr als 1000 Millionen Franken an Dividenden ausgeschüttet, also etwa 45 Millonen pro Jahr. Nur mit einem kleinen Teil davon hätte man den Bereich Journalismus stützen, ja stärken können.

Doch das Ziel der Konzernspitze ist ein anderes: Sie will die Gewinnmarge weiter erhöhen. Ein langer Text an die «lieben Leserinnen und Leser» strotzt vor Worthülsen und Marketing Sprech. Er will uns glauben machen, dieser Umbau sei «eine Weichenstellung für unabhängigen Journalismus».

Mit Ehrlichkeit hätte die TX Group einen Rest an Glaubwürdigkeit verteidigen können. Es handelt sich um die grösste Entlassung in der Schweizer Mediengeschichte. Die Manager könnten offen dazu stehen, dass die TX Group so bald als möglich zu einem reinen Tech-Konzern werden und noch mehr Gewinn machen will. Journalismus ist teuer, gerade im Lokalen und Regionalen, weil er dort nicht skalierbar ist. Deshalb werden die Redaktionen noch weiter heruntergespart.

Die TX Group hat eine Sonderstellung. Die anderen privaten Medien stecken in einer tiefen Finanzkrise, weil die Werbegelder in grossem Stil zu Tech-Plattformen wie Google und Facebook abfliessen. (Inzwischen jeder zweite Werbefranken). Just in dieser Phase hat der Bundesrat entschieden, der SRG das Budget auf dem Verordnungsweg zu kürzen. Polemisch verkürzt: Wenn es den privaten Medien schlecht geht, soll auch die SRG leiden. Das ist hirnrissig.

Doch damit nicht genug: Im Herbst beginnt in den Parlamentskommissionen die Beratung der Halbierungsinitiative, die noch viel mehr Substanz zerstören würde. Deshalb haben wir vor zweieinhalb Jahren die Allianz Pro Medienvielfalt lanciert und halten dagegen. Es handelt sich um das grösste Projekt von Courage Civil, rund 3000 Einzelpersonen haben sich bereits eingetragen. Das ist erst der Start. Sie muss kräftig weiterwachsen – bitte helfen Sie mit!

Ein gemeinsamer Ausweg aus der Medienkrise

Die meisten Medienhäuser weltweit stecken in der Krise. Die Erträge gehen zurück, die Redaktionen werden verkleinert, die Qualität sinkt. Für das Erbringen ihrer primären Dienstleistung – Journalismus – ist das ein Problem. Dabei gäbe es Lösungsansätze. Martin Oswald ist seit vielen Jahren Praktiker und Dozent. Er kennt die Medienlandschaft der Schweiz sehr gut und er kennt die Herausforderungen, die die Transformation mit sich bringen, aus eigener Erfahrung. Auf Twitter hat er konzis zusammengefasst, worum es geht. Mit seiner Erlaubnis geben wir hier seinen Text wieder.

«Guter Journalismus ist für eine funktionierende Demokratie systemrelevant und unverzichtbar.» So bringt es das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög) auf den Punkt.

Doch wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird Titel um Titel verschwinden, weil sich das Geschäft nicht mehr rechnet. Man spricht von einem Marktversagen, weil zwar alle Journalismus konsumieren, aber nur wenige dafür bezahlen wollen.

Früher war es die Werbung, die den Journalismus finanziert hat. Inzwischen fliessen jährlich 2 Milliarden Franken an Werbegelder direkt zu Google, Meta und Co. Also muss sich der Journalismus zunehmend über den Nutzermarkt finanzieren.

Während sich die ältere Generation gewohnt ist/war, für eine Tageszeitung ordentlich Geld zu bezahlen, ist die Zahlungsbereitschaft für Journalismus auf digitalen Kanälen mit ~20% tief. Die Erträge brechen weg.

Wenn der Markt versagt, aber das Gut schützenswert ist, braucht es Rahmenbedingungen, die den Journalismus in seiner Vielfalt und in seiner geografischen Breite und Tiefe langfristig ermöglicht.

Heute fressen die Kosten für Druck, Vertrieb, Strom, IT und Produktentwicklung jeden Gewinn wieder auf. «Die Medien jammern ständig», sagen Kritiker. Nun, wir versuchen eine Leistung für die Gesellschaft zu bewahren, die sich je länger je weniger finanzieren lässt.

Und was ist die Lösung?
1. Wir brauchen ein Mediengesetz, welches günstige Rahmenbedingungen schafft.
2. Wir brauchen eine stärkere Position gegenüber internationalen Tech-Konzernen. (Leistungsschutzrecht)
3. Wir brauchen als Branche gemeinsame technologische Lösungen.

Heute ist es so, dass jedes Medienhaus viel Zeit und Geld in die Produktentwicklung investiert. CMS, Paywall, Webshop, Aboverwaltung, E-Paper, Marketing-Automation, Analytics, usw. Gerade kleine Medienhäuser verschwenden hier unnötig Geld, um technologisch mithalten zu können.

Man stelle sich vor: Alle Medienhäuser bieten ihren Nutzerinnen und Nutzern die gleichen herausragenden Produkte und Services auf dem neusten Stand der Möglichkeiten an. Die Verlage konzentrieren sich derweil auf ihr Kerngeschäft: Qualitätsjournalismus.

Statt einen Wettbewerb der Technologie, hätten wir einen Wettbewerb der Inhalte. Über den Erfolg würden nur noch die Recherchen, das Storytelling, die Relevanz der Geschichten entscheiden. Gewinnen würden die Leserinnen und Leser.